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Abunuya

„Es tut gut, mit Menschen Emotionen zu teilen!“

ABUNUYA by Aeham Ahmad & André Buttler – BEST OF 

Hier ist das ganze Konzert:
ABUNUYA by Aeham Ahmad & André Buttler | World Premiere 2022

Der syrische Pianist Aeham Ahmad und die Junge Vielharmonie proben für die Uraufführung von Abunuya
Von Stefan Pieper

Auf Hochtouren wird im TM gerade geprobt für die Uraufführung von „Abunuya“, einem abendfüllenden Werk des syrisch-palästinensischen Pianisten Aeham Ahmad und des Komponisten André Buttler mit der Jungen Vielharmonie der Musikschule der Stadt Marl. Schon die ersten Höreindrücke beim Probenbesuch machen klar: Hier ist vieles anders als bei einem „normalen“ Sinfoniekonzert.

© Varun

Zur Besetzung gehören Instrumente aus dem osmanisch-arabischen Raum und man hört den jungen Musikerinnen und Musikern den Spaßfaktor bei den oft exotischen Klangfarben und der treibenden Rhythmik an. Wenn Aeham Ahmad auf dem Flügel loslegt oder seine empfindsame Gesangsstimme erhebt, wird deutlich: Hier ist ein Musiker tief in seiner Sache drin. Im Gespräch mit der MZ sagt er, was ihm diese Kooperation bedeutet: „Ich bin so glücklich, dass jetzt ein ganzes Orchester meine Musik spielt. Es tut sehr gut, mit vielen Menschen aus dieser Stadt auf der Bühne zu musizieren und Emotionen zu teilen.“

© Stefan Pieper

Aeham Ahmad und André Buttler haben sich vor einem Jahr auf einen gemeinsamen kreativen Prozess eingelassen. Aeham Ahmad spielte auf dem Klavier jene Musik, die ihm am meisten bedeutet und nicht selten auch heftige Lebensumstände widerspiegelt. Daraus sind viele instrumentale Themen für die Abunuya-Partitur entstanden. Mitten im Syrien-Krieg schrieb er den Song „About the Waterman“. Es geht um die elementarste Not der Zivilbevölkerung im Krieg, wenn das Trinkwasser fehlt. Seinen tiefen Bezug zum Lied „Die Gedanken sind frei“ erläuterte er im Gespräch mit der MZ: „Die kraftvolle Melodie verkörpert so viel innere Stärke. Selbst bei jemandem in Gefangenschaft befinden sich die Gedanken immer noch in Freiheit!“

 

© Stefan Pieper

André Buttler hat Aeham Ahmads musikalische Ideen mit modernen kompositorischen Verfahren in die Klangsprache eines großen Orchesters „übersetzt“. Hier zeigt sich die Erfahrung dieses jungen, internationalen Film-Komponisten, dessen Partituren und Arrangements viele Fernsehproduktionen und auch Computerspiele bereichern. Eine neue Herausforderung ist für ihn allemal, wenn Aeham Ahmad in „Abunuya“ seine virtuosen solistischen Parts komplett frei improvisiert: „Die Klavierstimme ist nicht ausgeschrieben wie in einem klassischen Klavierkonzert. Aeham kann sich Freiheiten erlauben. Das Orchester muss sich darauf gefasst machen, dass etwas Unvorhergesehenes passiert.“

Konsequenter lässt sich wohl kaum eine „Musik zwischen den Welten“ kreieren. Genau darum ging es der Christlich Islamisch Jüdischen Arbeitsgemeinschaft Marl, Kreis Recklinghausen (CIJAG), als sie den beiden Musikern für das 22. Abrahamsfest diesen Kompositionsauftrag erteilte. André Buttler bekräftigt dieses Anliegen: „Wir bringen etwas aus der westlichen Welt zusammen mit der nahöstlichen, osmanischen Tradition. Aber es soll etwas Gemeinsames dabei heraus kommen und nicht etwa so klingen, als würde der eine etwas vom anderen adaptieren. Das war unser Ausgangspunkt und das wollen wir unserem Publikum am 19. November zeigen.“


Uraufführung des Werks ABUNUYA, einer Komposition von Aeham Ahmad und André Buttler.

MZ 21.11.22
Eine intensiv geteilte Schwingung

Die Uraufführung von ABUNUYA überwältigte im Theater Marl über 700 Menschen 
Von Stefan Pieper

© Stefan Pieper

 

Auf einmal war alles Wirklichkeit, was in einem Jahr erdacht, entwickelt und erarbeitet worden war. Über 700 Menschen im Marler Theater feierten den charismatischen Pianisten Aeham Ahmad und das hochmotivierte Orchester der Jungen Vielharmonie unter der Leitung des Komponisten André Buttler mit lang dauernden, stehenden Schluss-Ovationen. Kompliment auch dafür, wie die CIJAG und die Stadt Marl in ihrem Engagement für die Kultur hier an einem Strang gezogen haben!

 

 

Nach einer etwas hektischen Generalprobe lief plötzlich einen Tag später alles rund. Die Aufregung vor dem Konzert hatte wohl viel positives Adrenalin gegeben, denn nichts motiviert so, wie die Live-Situation. Nicht umsonst gehören Orchester-Auftritte von Anfang an zum Musikschul-Unterricht dazu.

 

© Stefan Pieper

Das neue Werk Abunuya ist von vielen musikalischen Erfahrungen des Filmkomponisten André Buttler, ebenso von Aeham Ahmads musikalischen Ideen aus der syrisch-osmanischen Musikkultur durchdrungen – und so ist auf großes musikalisches Kino im TM Verlass: Die vielen Stimmungswechsel zwischen ernst und pathetisch, zwischen schwungvoll-treibend und lyrisch, zwischen orientalisch und westlich-klassisch dürften eine Riesen-Herausforderung gewesen sein. Perfekt ist nicht alles bei der Uraufführung, aber die ständigen, gefühlsintensiven Überwältigungsmomente machen dies mehr als wett. Solist Aeham Ahmad ist tief in seiner Sache drin. Seine fantasievollen Soli entfalten eine Brillanz, die viele Kollegen seiner Zunft alt aussehen lassen.

Er hat so viel tief Gefühltes in „seiner“ Musik zu sagen.  Besonders nah kommt er den 700 Menschen vor ihm, als er als kunstvoll Singender zu ergreifender Höchstform aufläuft. Was schließlich dazu führt, dass das ganze Publikum, sichtlich ergriffen, in den Gesang „einsteigt“. 

Das Orchester der Musikschule als hellhöriger Partner  

© Stefan Pieper

André Buttler am Dirigentenpult kann sich derweil auf hellhörige Interaktion des Orchesters verlassen. Zarte Streicherteppiche geben Raum für Aeham Ahmad, die fabelhafte Ney-Flötistin Beyza Köse und den syrischen Oud-Spieler Sami Mustafa. Beethovens „Ode an die Freude“ erhält durch eine choralartige Umdeutung einen nachdenklichen Unterton. Das Lied „Glückauf der Steiger kommt“ schleppt sich minutenlang vorwärts in einem Rhythmus irgendwo zwischen Bolero und Trauermarsch – ein augenzwinkernder Abgesang auf den industriellen Strukturwandel im Ruhrgebiet?

 

 

© Stefan Pieper

Am meisten aufklärerische Kraft entfaltet das Lied „Die Gedanken sind frei“, nun verdichtet zu einer sinfonischen Dramaturgie mit grandiosem Schlussfortissimo. André Buttlers Kalküle sind aufgegangen, um mit dieser Komposition mannigfaltige emotionale Anknüpfungspunkte für viele Menschen zu schaffen. Wie unmittelbar diese verstanden wurden und was für eine intensive emotionale Schwingung vor und hinter der Bühne im TM geteilt wurde, das hatte sich vorher wohl niemand träumen lassen.

 

 

 

Einige andere Stimmen zur Uraufführung im Theater Marl:

„Ich möchte mich nochmals herzlich für die Einladung bedanken. Der Abend war einfach atemberaubend. Aheam Ahamds Musik war absolut bewegend und ich habe die eine oder andere Träne verdrückt und auch viel gelacht.  Eine Achterbahn der Gefühle, wenn man so will. Gerade das erste Stück war sehr bewegend für mich, hat irgendwie nach einem persönlich ziemlich miesen Jahr 2022 einiges hochgebracht, erstaunlich was Musik so macht. Die Interpretation des Steigerlieds später am Abend war einfach genial, gleiches gilt für das großartige Orchester mit so vielen jungen talentierten Menschen.“

„Welch ein großartiges Ereignis war das gestern. Ihr habt Aeham jetzt das dritte Mal bei euch gehabt und jedes Mal war es eine Steigerung. Es ist jetzt kaum noch zu übertreffen, was André Buttler und Aeham Ahmad da musikalisch auf die Beine gestellt haben. Aber auch das Organisationsteam der CIJAG/Junge CIJAG hat Großartiges geleistet. Für mich war es das bewegendste Konzert, das ich je mit Aeham erlebt habe und ich habe viele Konzerte mit ihm besucht. Ich selbst und viele Leute um mich herum haben so manche Träne verdrückt. Das Orchester unter der Leitung von André Buttler war fantastisch und das Zusammenspiel mit Aeham hat perfekt funktioniert. Vielen Dank an alle Beteiligten für ein großartiges Konzert!“.

Fotos: Varun